Das Infinma Institut für Finanz-Markt-Analyse erhebt regelmäßig Marktstandards für verschiedene Versicherungszweige: so auch aktuell erneut für die Erwerbsunfähigkeitsversicherung (EU). Dabei verfolgen die Tester einen anderen etwas anderen Ansatz als andere Häuser. Zunächst werden die Bedingungswerke untersucht. Dabei verzichten die Kölner auf eine individuelle Gewichtung von Qualitätsmerkmalen, sondern schauen in die Tarife, welche Leistungen tarifübergreifend vorhanden sind: Diejenige Ausprägung, die von den Anbietern in ihren Produkten am häufigsten verwendet wird, definiert den jeweiligen Marktstandard im Sinne eines Branchendurchschnittswertes. Der Standard kann erfüllt oder übertroffen werden.

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17 Kriterien wurden diesmal identifiziert. Die Tester weisen darauf hin, dass es sich ausdrücklich nicht um ein Rating handelt, da sich die einzelnen Bedingungswerke nicht gegeneinander aufrechnen lassen würden. Ein Zertifikat erhalten die Tarife der getesteten Anbieter dann, wenn sie alle Marktstandards mindestens erfüllen oder darin besser als der Markt abschneiden. Insgesamt 19 Tarife von neun Gesellschaften haben die Vorgaben erfüllt.

Diese 17 Marktstandards wurden im aktuellen EU-Produktvergleich identifiziert:

  • Prognosezeitraum: Die EU-Leistung des Versicherers hängt davon ab, wie lange die versicherte Person voraussichtlich außer Stande sein wird, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Rückwirkende Leistung ab sechs Monaten wurden als Marktstandard identifiziert.
  • Rückwirkende Leistung: Wird die Leistung auch rückwirkend ab Beginn der EU gezahlt?
  • Spezifikation der Erwerbstätigkeit: Im Gegensatz zur Berufsunfähigkeit wird nicht der zuletzt ausgeübte Beruf abgesichert: Der Versicherte kann auf andere Tätigkeiten verwiesen werden, die er eine bestimmte Stundenzahl pro Tag ausüben können muss. Marktüblich sind hier: „Alle Tätigkeiten, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt üblich sind, und alle selbständigen Tätigkeiten“.
  • Arbeitsumfang: Der Markstandard besagt, dass eine versicherte Person erwerbsunfähig ist, wenn sie außerstande ist, eine Erwerbstätigkeit von mehr als 3 Stunden täglich auszuüben. Hier schneidet ein Tarif schlechter ab (2h täglich) und vier besser.
  • EU aufgrund von Pflegebedürftigkeit: Ab wann der Versicherer auch bei Pflegebedürftigkeit zahlt, ist abhängig von der Pflegestufe/vom Pflegegrad und einer Punktetabelle. Befindet sich der Versicherte bspw. in Pflegestufe 3, muss zudem darauf geachtet werden, ob der Versicherte insgesamt 6 oder nur 4 Pflegepunkte angegeben hat.
  • Meldefristen: Es kann Fälle geben, in der eine versicherte Person aus gesundheitlichen Gründen nicht sofort melden kann, etwa aufgrund eines Unfalls und Krankenhaus-Aufenthaltes. Hier ist es marktüblich und vorteilhaft, dass der Versicherer gänzlich darauf verzichtet, verbindliche Meldefristen (z.B. 3 Monate) zu definieren.
  • Beitragsstundung: Die Entscheidung, ob Erwerbsunfähigkeit vorliegt, kann sehr lange dauern, doch die Betroffenen erleiden in der Regel hohe Einkommensverluste. Deshalb bieten die meisten Versicherer die Möglichkeit, für den Zeitraum der Leistungsprüfung die Prämien (zinslos) zu stunden.
  • Zeitlich Befristetes Anerkenntnis: Mitunter dauert es sehr lang zu prüfen, ob eine Erwerbsunfähigkeit vorliegt. Einige Versicherer bieten für diesen Zeitraum an, befristet auf z.B. 12 Monate EU-Leistungen anzuerkennen. Das kann aber auch heimtückisch sein, weil es keinen Rechtsanspruch auf diese Leistungen gibt, sie bei Leistungsablehnung u.U. zurückgezahlt werden müssen - und der Versicherer nach dieser Frist einen neuen Antrag auf EU-Leistungen verlangen kann.
  • Kostenübernahme bei Auslandsaufenthalt: Unter Umständen hält sich der Versicherte im Ausland auf und muss dort ärztliche Untersuchungen durchführen lassen. Manche Versicherer bestehen hier darauf, dass ärztliche Untersuchungen nur in Deutschland durchgeführt werden dürfen - zum Nachteil des Versicherten. Marktstandard: Übernahme der Reise- und Unterkunftskosten in den Bedingungen konkretisiert.
  • Geltungsbereich: Marktüblich ist: Der Versicherungsschutz gilt weltweit und ist nicht eingeschränkt. Sonst kann der Versicherer im schlimmsten Fall von der Leistungspflicht befreit sein, wenn der Anlass für die Erwerbsunfähigkeit im Ausland eintritt, etwa aufgrund eines Herzinfarktes im Urlaub.
  • Mitwirkungspflichten Gesundheit: Marktüblich ist: Der Wegfall der Erwerbsunfähigkeit oder eine Besserung des Gesundheitszustandes / Minderung der Erwerbsunfähigkeit müssen unverzüglich gemeldet werden.
  • Einmalzahlungen: Manche Versicherer zahlen bei Eintritt der Erwerbsunfähigkeit eine finanzielle Anfangshilfe oder Wiedereingliederungshilfe zusätzlich zur BU-Rente. Marktüblich aber ist, dass keine Einmalzahlungen vorgesehen sind. Hier zeigt sich, dass einige von Infinma definierte Marktstandards gar nicht unterboten werden können, weil die Marktstandards keine Extraleistungen vorsehen.
  • Nachversicherung ohne Anlass: Mittlerweile ist es marktüblich, dass die Versicherer erlauben den vereinbarten Schutz zu erhöhen, ohne dass ein konkreter Anlass wie Heirat oder Geburt eines Kindes vorliegt.
  • Überbrückung von Zahlungsschwierigkeiten: Die meisten Tarife (16) sehen keine Stundung von Beiträgen vor. Erneut ein Marktstandard, der nicht unterboten werden kann. Allerdings schneiden hier viele Tarife mittlerweile besser ab und erlauben z.B. die Stundung von Beiträgen bis zu 24 Monate.
  • BU-Umtausch-Option: Manche Erwerbsunfähigkeits-Tarife sehen vor, dass Schüler, Studenten und Azubis ihren EU-Schutz bei Aufnahme eines Berufes in eine Berufsunfähigkeitsversicherung umgetauscht werden kann: ohne erneute Gesundheitsprüfung. 17 Tarife verzichten aber darauf.
  • Verlängerungsoption: Nur wenige Tarife sehen vor, dass ein EU-Vertrag über das Rentenalter hinaus verlängert werden kann.
  • Gesetzliche EM-Rente gilt als EU: Nur für wenige Tarife gilt: Als Ursache für Erwerbsunfähigkeit gilt der Bescheid der gesetzlichen Rentenversicherung bei Erwerbsminderung. In der Regel bestehen die Privatversicherer darauf, die Erwerbsunfähigkeit selbst zu prüfen und zu bewerten.

Welche Tarife alle Marktstandards erfüllen

Die Zahl der angebotenen Tarife ist weiter rückläufig, etliche Marktstandards haben sich dagegen verbessert. Letztendlich blieben vier Erwerbsunfähigkeits-Versicherer mit insgesamt 13 Tarifen übrig, die für sich beanspruchen können, alle Marktstandards mindestens zu erfüllen oder ihn ihnen besser abzuschneiden als der Markt. Damit erfüllen lediglich 32,5 Prozent der geprüften Angebote den Marktstandard.

„Wie im letzten Jahr schon vorhergesagt, ist inzwischen die BU-Umtauschoption zum Marktstandard geworden. Das ist insofern verständlich, als die EU häufig als Einstieg in eine Arbeitskraftabsicherung angeboten wird.“, erläuterte der geschäftsführende infinma-Gesellschafter Dr. Jörg Schulz.

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Auch der Verzicht auf die Meldepflicht bei Verbesserung des Gesundheitszustandes ist in diesem Jahr zum Standard geworden. „Insgesamt hat sich das Niveau der Bedingungen weiter verbessert, dennoch kann sich die EU weiterhin nicht als Alternative zur BU durchsetzen. In vielen Berufen, vor allem ohne größere körperliche Belastungen, bleiben die Prämienunterschiede zur BU einfach zu gering.“ Auch die Regelungen bei Erwerbsunfähigkeit aufgrund von Pflegebedürftigkeit hat sich verändert. Hier reichen jetzt schon 2 von 6 Pflegepunkten aus.

Mit Blick auf den Markt der Arbeitskraftabsicherung stellen die Analysten von infinma fest, dass der Fokus der Versicherer eher auf der Grundfähigkeitsversicherung als Portfolioergänzung zur BU liege. Die Zurückhaltung vieler Anbieter im Bereich der EU scheint auch daran zu liegen, dass sie selber nicht oder nicht mehr an einen durchschlagenden Erfolg dieser Absicherungsmöglichkeit glauben. „Selbst für überwiegend körperlich Tätige kann sich die EU nicht wirklich als Alternative zur BU durchsetzen. Schon alleine die verbale Nähe zur gesetzlichen Erwerbsminderungsrente dürfte den einen oder anderen möglichen Kunden abschrecken.“, sagt infinma-Geschäftsführer Marc Glissmann.

Die zertifizierten EU-Tarife in alphabetischer Reihenfolge:

  • Continentale: PEU, Stand 01/2022; PEUS, Stand 01/2022; PEUZB und PEUZR, Stand 01/2022; Einkommensvorsorge Concept, Stand 02/2024; PEU, Stand 01/2022 (Österreich); PEUS, Stand 01/2022 (Österreich); PEUZB und PEUZR, Stand 01/2022 (Österreich)
  • Europa: E-EU, Stand 01/2022
  • Volkswohl Bund: SEU, Stand 06/2022; EUZ, Stand 06/2022; EUZ DV, Stand 06/2022
  • Zurich: Erwerbsunfähigkeits-Schutzbrief, Stand 01/2024; Erwerbsunfähigkeits-Schutzbrief (DV), Stand 01/2024

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